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Beinamputiert beim Strongmanrun in Köln 2022

Endlich Finisher!

10km Laufen mit 20 Hindernissen zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Dabei Regen in Strömen und 5.000 jecke Menschen, die in zum Teil sehr lustigen Kostümen lachend gleich doppelt so viel Anstrengung auf sich nehmen. Und ich, Ü50 und oberschenkelamputiert, zusammen mit meiner Frau und einer unterschenkelamputierten Freundin aus der Berliner Selbsthilfegruppe „Amputierten-Treffpunkt“ als Team „Inklusionsmonster“ mittendrin oder besser: tapfer hinterher!

Prolog

Warum machen wir so etwas, warum mache ich so etwas?
In den Ausgaben 1 bis 3/2022 des Rehatreff hatte ich bereits über meine Teilnehme am 10 km Strongmanrun und über meine Beweggründe berichtet: Eigentlich will ich ja nur, wie alle anderen amputierten Menschen auch, im Alltag bestehen.

Mich nicht von meiner Prothese bevormunden lassen, spontan und ohne Schmerzen leben können. Um dieses ganz einfache Ziel zu erreichen, versuche ich Dinge zu machen, die ein bisschen anspruchsvoller sind als der Alltag, versuche ich mich etwas intensiver körperlich fit zu halten, als es für das Bestehen des Alltags nötig wäre. Dann, so der Plan, erlebe ich auf dem Weg zu diesem Ziel einen entspannten Alltag quasi als „Nebenprodukt“.

Das Vorspiel

Das Rennen 2020 wurde, genauso wie das Rennen 2021, coronabedingt leider abgesagt. Das war bedauerlich, aber ich hatte grimmig und entschlossen kundgetan, dass sich der Run nicht vor mir verstecken kann und dass ich weiter trainiere! Also habe ich weiter an meiner Kraft durch Eigenkörpergewicht- und Therabandtraining, an meiner Ausdauer durch Nordic Walking und Joggen, an meiner Geschicklichkeit durch Klettern, an meiner Beweglichkeit durch Taiji und an meiner Schnelligkeit beim Schwimmen gearbeitet.

Ich habe 2020 Ängste beim Tandem-Fallschirmsprung überwunden, habe unter Wasser beim Tauchen und auf der Gymnastikmatte beim Meditieren vor und nach dem Yoga neue Horizonte entdeckt und bei meiner Reha in Bayreuth gute von schlechter Ernährung unterscheiden und im Alltag leben gelernt. Merken Sie was? Das sind gelebte Tugenden, die schlicht jedem gut zu Gesicht stehen– man muss es einfach nur tun. Und der Effekt ist: ein nach und nach immer weniger beschwerterer Alltag, trotz Fulltime-Job als weltweit tätiger Selbständiger!

Eigentlich könnte dieser Artikel bereits hier enden, denn das wirklich Wichtige ist hiermit bereits gesagt. Aber es gibt ja noch dieses eine Sahnehäubchen, diese Kirsche auf der Torte, diesen Zielpunkt, an welchem sich meine bisherige Anstrengungen orientiert haben, um in meinem Alltag zu bestehen: diese Teilnehme an einem10 km Strongmanrun in Köln!

Der Lauf in Köln

Am Freitag gab es knapp 600 km Anreise von Berlin nach Köln mit Abholen der Startunterlagen im Regattahaus am Fühlinger See. Das waren das Blättchen mit der Startnummer und ein Chip zur individuellen Erfassung des Passierens von Start- und Ziellinie, den man am Laufschuh sichtbar befestigen konnte, und – ein Energieriegel! Dann ab zum Hotel und noch ein wenig kölsche Gastlichkeit genossen, bevor es am nächsten Tag ernst wurde.

Vorbereitung am Tag des Laufes

Am Samstag dann zogen wir uns im Hotel bereits lauffertig an. Das bedeutete für mich, dass ich zuerst die zum Schutz der Mechanik und Hydraulik meines Prothesenknies gezogene und auf Länge abgeschnittene Bein einer der Strumpfhosen meiner Frau (vielen Dank für deinen Einsatz!) auf Sitz und Unversehrtheit kontrollierte – check.

Dann deckte ich meinen Stumpf an den Stellen, welche ich in den letzten Jahren durch Versuch und Irrtum als empfindlich identifiziert hatte, mit medizinischen Klebefolien großflächig ab. Danach legte ich am Schaft kleine Schaumstoff-Platten zwischen den Fenstern zur Umfangverstellung des Schaftes und dem Innentrichter aus Silikon, damit ich im Zweifelsfall beim Schwimmen oder Hangeln per BOASystem eine Extraportion Druck auf den Stumpf zum Halten des Schaftes ausüben konnte. Danach zog ich die Prothese mit meiner Anziehtüte an, befestigte die flexible Oberschenkelhaltebandage am Schaft und legte sie um meine Hüfte, zog eine kurze Taucherhose aus dünnem Neopren als Laufhose an und nahm meine langärmlige Funktionsjacke mit. Dann fuhren wir im Auto zum Fühlinger See.

Am Eventgelände

Wir parkten, strategisch günstig, dicht am Umkleide- und WC Gebäude und sahen uns in aller Ruhe etwas um. Viele der 5.000 Teilnehmer waren mit lustigen Einzelkostümierungen oder in ideenreichen Gemeinschaftsoutfits angetreten.

Sie wurden, je nach gewählter Laufstrecke, in „Fun Run“ über 6 km mit 12 Hindernissen, in „Strong10“ über 10 km mit 20 Hindernissen und in „The Original“ über 20 km mit 40 Hindernissen aufgeteilt – wobei „The Original“ einfach das doppelte Absolvieren des „Strong-10“ darstellte. Gruppe 1 startete um 11:00 Uhr, Gruppe 2 um 13:00 Uhr und Gruppe 3 um 14:00 Uhr. Ein schönes Entzerren des Startvorgangs!

Startaufstellung

Als Teilnehmer des „Strong-10“ konnten wir daher in Ruhe das Procedere des Aufstellens der Fun-Runner eine halbe Stunde vor dem Startschuss beobachten – inklusive der akustischen Show und den Motivationsreden des Moderators, der einen wirklich guten Job und damit richtig Lust auf den Lauf, trotz des regnerischen Wetters in Köln machte! Also stellten wir uns, stolz unsere „Inklusionsmonster“ Shirts über unsere Funktionskleidung gezogen, in die Menge des großen Starterfeldes und genossen die Show, die Gespräche mit anderen „Verrückten“ und sahen mit zunehmender Aufregung dem Startschuss entgegen. Als dieser fiel, setzte sich der gesamte Tross langsam bis zu Startlinie in Bewegung um dann, mit überschreiten derselben, in einen leichten Jogging-Trag zu verfallen.
Es hatte begonnen!

Die Strecke

Der Streckenverlauf und alle Hindernisse können im Internet genau angesehen werden. Wir machten kurz nach Start etwas für den Spaß am Lauf ganz Entscheidendes: wir wechselten vom Joggen in einen schnellen Spazierschritt, der nicht wesentlich langsamer, aber sehr viel stumpf- und kraftschonender war. Diese Maßnahme war einfach eine Erkenntnis aus allen Vorbereitungen: meine schwere, aber wasserfeste, hoch belastbare und damit leistungsfähige Beinprothese aus X3 Kniegelenk und Challenger Lauffuß, zusammen mit dem OnCloud Laufschuh mit der grobstolligen Sohle, waren für das Bewältigen der Hindernisse bestens, aber für das dauerhafte Laufen nur bedingt geeignet. Ein Versuch, durchzujoggen, wäre sicherlich mit dem frühzeitigen Verlust der Kontrolle des schwitzigen Stumpfes über die schwergewichtige Prothese einher gegangen, und damit wäre der Spaß am Bezwingen der Hindernisse getrübt worden. Kluge Entscheidung, denn wir haben dadurch trotz Regen alle Hindernisse erreichen und ausprobieren können!

Hindernisse zu Lande---

Los ging es nach etwa 1,5 km mit einfachen Sachen wie dem Ausweichen von herabhängen, leicht Strom führenden Bändern oder dem Krabbeln auf allen Vieren über den Rasen unter tiefhängenden Netzen hindurch. Hier freute ich mich das erste Mal, Hydraulik und Mechanik gegen eindringenden Dreck geschützt zu haben. Weiter ging es mit dem Überwinden von hölzernen Hürden, ähnlich wie beim Hürdenlauf.

Hindernisse zu Wasser…

Das vierte Hindernis waren auf dem Wasser schwimmende Kunststoffbalken, die im tiefen Wasser entweder untertaucht oder im niedrigen Wasser überstiegen werden mussten. Ganz klar: Trocken würde bei diesem Lauf keiner bleiben! Sofort danach mussten etwa 50m des nächsten Ufers auf der Wasserseite durchmessen werden; das ging schwimmend am besten. Hier bewährten sich neben allen wasserfesten Bauteilen der Prothese die Neoprenhose und die Funktionsjacke – es war im Wasser nicht kalt und ich konnte die Prothese zum besseren Schwimmen im Kraulstil auf „steif“ stellen. Es lief alles wie am Schnürchen! Weiter ging es mit erneutem Krabbeln unter Netzten hindurch. diesmal allerdings lag die Strecke am Hang und es wurde schwieriger. Das darauffolgende, baugleiche Hindernis war zwar wieder ebenerdig, dafür hingen leicht Strom führende Bänder hinab – man musste sich ordentlich tief in die schlammige Wiese drücken, um diesen Unannehmlichkeiten auszuweichen.

Hindernisse in der Luft!

Anschließend galt es, einen mit Wanten aus starkem Seil überzogenen Container hinaufzuklettern, auf diesem Netz den etwa 2 Meter breiten Zwischenraum zum daneben gestellten Container zu überwinden und auf der anderen Seite dann auf Holzbänke wieder hinabzusteigen. In Sichtweite befand sich das nächste Hindernis mit einem weiß schaumgetränkten Abschnitt, der unsere Schuhe und Hosen ordentlich einseifte!

Aufmunterung und Respekt

Danach folgte ein längerer Abschnitt reiner Laufstrecke. Wir wurden von immer mehr Läufern der eine Stunde nach uns gestarteten „The Original“ Gruppe überholt – und erhielten, ausgesprochen sportlich und sehr menschlich, immer wieder aufmunternde und Respekt bezeugende Zurufe. Das war Klasse! Es interessierte überhaupt nicht, dass wir im Vergleich zu allen anderen grottenlangsam waren, sondern nur dass wir uns der Herausforderung stellten und nichts ausließen! Das tat gut, das war Sportsgeist! Im weiteren Verlauf wurde es dann wieder richtig nass, denn der Laufweg endete mit einem schwimmenden Ponton am Wasser und wir mussten mit möglichst elegantem Hüpfer in den See und eine etwa 20m lange Strecke schwimmend durchmessen. Das nächste Hindernis sah ähnlich aus, und mir wurde beim Sprung ins Wasser mit voller Montur allmählich klar, dass mir und meiner Prothese in diesem Leben kein Regenschauer der Welt mehr Furcht oder Respekt würden einflößen können! Danach gab es noch Kreiselläufe, in denen es einem schwindelig werden konnte, oder eine Strecke mit Autoreifenstapeln, die mir als Amputiertem richtig akrobatisches Geschick abverlangten, um nicht hängenzubleiben oder zu stolpern. Richtig lustig war dann das vorletzte Hindernis, wo man an Wanten zwei übereinander gestapelte Container hinaufkletterte, um auf der anderen Seite auf einer nassen Plastikplane in ein Wasserbecken zu rutschen. Das tat ich mit meiner Unterschenkelamputierten Vereinskameradin an meiner Seite – und wir hatten richtig Spaß dabei!

Das wackeligste Hindernis kommt zum Schluss

Das letzte Hindernis jedoch, etwa 500m vor der Ziellinie, war dann noch einmal etwas Besonderes: ein Container, der von zwei Autokränen auf etwa 6 Meter Höhe gehoben worden war und über ein Netz aus groben Seilen auf der einen Seite erklommen und auf der anderen Seite auf die gleiche Weise wieder verlassen werden musste. Das Gesamtkonstrukt erwies sich als durchaus schwankend und ich hatte Mühe, mich festzuhalten und dabei den Prothesenfuß richtig auf die Seile zu positionieren – das Prothesenknie kann sich halt nicht aus eigener Kraft beugen oder Strecken, da muss ich schon ein wenig Beweglichkeit demonstrieren, um sicher zu klettern. Und hier freute ich mich wie ein kleiner König über jede Stunde, die ich in der Vergangenheit in der Kletterhalle oder im Freien an der Wand verbracht hatte, über jede Route, die mich Trittfestigkeit, Griffsicherheit und das Überwinden meiner Höhenangst gelehrt hatte! Der Zieleinlauf mit den Zielfotos danach waren die einfachsten aller Übungen und ja, unsere Gruppe „Inklusionsmonster“ war von 70 gestarteten Gruppen tatsächlich auf Platz 70 gelandet, unsere Zeit mit 2 Stunden und 28 Minuten für 10 km Strecke in keiner Weise wettbewerbsfähig und doch hatten wir uns das Finischer-Shirt mit Medaille und Urkunde sowie den diskret oder offen ausgesprochenen Respekt aller anderen Teilnehmer mehr als verdient!

Aufruf

Wir sind die „Inklusionsmonster“, weil wir auf das Recht zur selbstbestimmten Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben hinweisen und es selbst aktiv mit Leben füllen wollen. Dieses Mal waren wir nur zu dritt unterwegs. Aber was ist mit euch? Wer hat Lust, sich gemeinsam mit uns nächstes Jahr am 9. September 2023 auf den Weg zu machen, 20 Hindernisse der Marke „Spielplatz für Große“ abzuklappern, um sich an Ihnen zu messen? Wer ebenfalls seine sportlichen Aktivitäten für ein gepflegtes Spaß-Event wie dem Hindernislauf von „Hotfoot-Run“ fokussieren möchte (denn so nennt sich der Strongmanrun ab sofort), der sollte uns über das untenstehende Formular kontaktieren. Wir geben Tipps und wir organisieren. Je mehr wir sind, umso lustiger wird es!

Fazit:

Der Plan ist aufgegangen! Wir sind tatsächlich über uns hinausgewachsen, wir hatten einen Riesenspaß und wir fühlen uns so gut im Alltag aufgehoben, wie man es sich wünscht. Mission completed, nächstes Ziel: Hotfoot-Run 2023 in Köln!

Anfrage an die Inklusionsmonster

1 + 13 =

Der Bonus-Anreiz:

Die ersten 10, die sich uns anschließen, kommen in den Genuss der kostenlosen Wildcards. Wir freuen uns auf euch!